ArthurDent
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Silicon.de WochenrÜckblick |
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SILICON.DE WOCHENRÜCKBLICK
Ausgabe: Freitag, 14. November 2008
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"Sehnsucht nach Führung"
Warum Barack Obama die Wahl gewonnen hat? – Der Spiegel weiß es mal wieder – nicht wirklich.
Demnach hätte das US-amerikanische Volk sich nicht seinen obersten Angestellten ausgesucht, wie es sich für eine Demokratie gehört, sondern ein Führer hätte die Macht ergriffen. Das jedenfalls impliziert die Wortwahl des Blatts, das sich einmal als Sturmgeschütz einer eben solchen Demokratie bezeichnete, sich inzwischen allerdings eher in seiner Rolle als Feldhaubitze der Reaktion gefällt.
Aber offenbar existiert sie tatsächlich, diese "Sehnsucht nach Führung" und damit nach einem Führer, auch wenn sie sich nur in einigen Redaktionsstuben des Landes definitiv nachweisen lässt. Deutsche Politiker wiederum werden ebenfalls von den Publikationen des Auslands, ohne dass man ihnen deswegen gleich Böses will, als "Führer" bezeichnet.
So schrieb die kroatische Zeitung Javno vergangenen Freitag in ihrer englischsprachigen Ausgabe von einem "German conservative leader". Gemeint war Christian Wulff, der ähnlich wie zuvor Professor Hans-Werner Sinn von einer "Pogromstimmung" gegen Manager gesprochen hatte.
Allerdings wird man, bloß weil so doof daherredet wie der niedersächsische Ministerpräsident, nicht gleich zum Faschisten. Selbst wenn der "Jewish leader" (Javno) Stephan Kramer daraufhin Wulffs Rücktritt forderte.
Es ist doch vielmehr eher so, dass ein professoraler Eiferer in Sachen Blödsinn halt nur dann übertroffen werden kann, wenn originär politischer Geifer ins Spiel kommt. Aber man fragt sich halt, warum manche Schreiber nicht kapieren wollen, dass die Geschichte einige Wörter diskreditiert hat und damit ebenfalls das dahinterstehende Prinzip.
Und dann berichtete silicon.de vorgestern noch über die Spekulationen um Steve Jobs' Nachfolger bei Apple: Es existieren viele gute Gründe für einen Schreiber, nicht an jenen Publikationen herumzumäkeln, bei denen er sich das tägliche Brot und den zugehörigen Rotwein verdient. Der beste kommt zum Tragen, wenn es nichts zu mäkeln gibt: In dem Artikel des Kollegen wird der Ex-iCEO nicht als Führer bezeichnet. Und es steht auch nichts über eine wie auch immer geartete Führung drin, derer die Mac-Macher bedürften. – Puuh! Glück gehabt.
Aber die englischsprachigen Quellen! Als General Petraeus der Geschäftswelt bezeichnet die US-amerikanische Venturebeat den Nachfolgekandidaten Tim Cook, um dann zu fragen: "Who will be Apple's Augustus?" – mit einem Link zu Wikipedia, wo beschrieben ist, wie der erste römische Kaiser seine Soldaten die damals bekannte Welt in Schutt und Asche legen ließ.
Es gibt sie, die Leute, die meinen, man könne das Arbeitsleben organisieren wie ein Infanterie-Regiment. Aber das sind nicht diejenigen, die wirklich etwas zustande bringen.
Anders als auf dem Kasernenhof funktioniert in Büros und Fabrikhallen das Prinzip von Befehl und Gehorsam überhaupt nicht. Etwas zu schaffen, ist intellektuell halt deutlich anspruchsvoller, als es kaputt zu machen.
Das beginnt schon bei der Sprache: "Im Gleichschritt Marsch!" geht in der Produktion nicht. Um mit jemandem zusammenzuarbeiten, muss man schon ganze Sätze bilden und eventuell so komplizierte Konstruktionen beherrschen wie die höfliche Frageform und den Konjunktiv: "Könntest du bitte... ?" – Damit sind Führer allerdings in der Regel geistig überfordert.
Aber so ist er halt, der Mensch im Allgemeinen und der Arbeitsmann und die Arbeitsfrau im Besonderen, ganz anders als das Vieh, an dem sich Führer und ihre journalistischen Wasserträger so gerne orientieren.
Morgen steht dann noch ein Parteitag an. Und der Spiegel hat gleich messerscharf analysiert, worum es dabei geht: "Nichts brauchen die Grünen im Moment dringender als Führung" (Seite 36).
Chem Özdemir soll zum Vorsitzenden gewählt werden. Jenem aber macht der Spiegel-Autor den offenkundig schlimmsten Vorwurf, den man als Schreiber, der offenbar in der Vorstellungswelt eines Herdentieres lebt, einem demokratischen Politiker überhaupt machen kann: "Er hat gar nicht vor, die Partei zu führen."
Und anschließend schwelgt dieser Schreiber noch in Erinnerungen an jene Zeiten, als die Grünen eine Führung nach seinem Geschmack hatten: "Dann führte sie Joschka Fischer in die Regierung, sie stimmten für Kriegseinsätze und Hartz IV." Um Özdemir schließlich völlig zu diskreditieren, bezeichnet er ihn in der Headline noch als "Unisex-Politiker".
"Oh Mann, oh Mann", möchte man diesem Typen da doch zurufen, "warum kapieren Sie das denn bloß nicht?" Die Hoden sind für die Testosteron-Produktion zuständig. Aber zum Denken benutzt man tunlichst das Gehirn.
Achim Killer
__________________ Wer hier nicht seinen Verstand verliert ...... hat keinen!
Neun von zehn Stimmen in meinem Kopf sagen mir ich wäre
nicht verrückt. Die zehnte Stimme summt nur leise die Melodie
von Tetris.
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